Radikale Neuansätze sind in der Entwicklung von Schienenfahrzeugen extrem selten. Christian Karner und Radovan Seifried von Siemens Mobility ist es gemeinsam mit Professor Christian Moser von der Technischen Universität Graz gelungen, einen neuen Fahrwerksrahmen zu entwickeln, der statt 1,5 Tonnen nur noch 845 Kilogramm wiegt – also knapp die Hälfte. Das Team wurde dafür von Siemens in der Kategorie Open Innovation als Erfinder des Jahres 2016 ausgezeichnet.
Neues Rahmendesign
„Ehrlich gesagt war mir diese ‚einfache‘ Weiterentwicklung aber ein wenig langweilig geworden“, erklärt Moser lachend, „ich wollte noch einmal in meiner Laufbahn etwas radikal Neues wagen.“ Seinen Mitstreitern musste er das nicht zweimal vorschlagen: „Es ist äußerst spannend, in der Konstruktion einmal ganz neue Wege einschlagen zu können“, erklärt Karner. Und sein Kollege Seifried ergänzt: „Wir mussten uns ganz von den herkömmlichen Denkmustern lösen, und das ist eine tolle Herausforderung.“
Der neue Fahrwerksrahmen besteht aus einer wesentlich festeren Stahllegierung. Die Erfinder konnten nur besonders ausgewählte Schweißnahtarten anwenden, die die einzelnen Teile der Konstruktion so fest verbinden, dass sie eine halbe Ewigkeit das Ruckeln beim Bremsen und Anfahren des Zuges aushalten – und auch Erschütterungen bei mehr als 200 Kilometern pro Stunde. Eingefahrene Konstruktionsformen für den Anschluss von Komponenten wurden grundlegend hinterfragt.
Innovation durch Kooperation
Nachdem die ersten Prototypen und Großkomponenten gebaut waren, wussten die Experten, dass sie auf dem richtigen Weg waren. Doch auch die Zulieferer von Siemens mussten umdenken: Bisher haben die Konstrukteure die zugelieferten Teile unverändert gelassen und neue Konstruktionen daran angepasst. „Jetzt ist es so, dass die Zulieferer passend zum neuen Konzept ihre Teile fertigen“, erklärt Karner. „Sonst könnten wir die drastische Gewichtsreduktion nicht erreichen.“ So ergab sich im Laufe der rund ein Jahr dauernden Entwicklungsarbeit eine Innovation aus der anderen. Im Institut für Leichtbau im Bereich Betriebsfestigkeit und Schienenfahrzeuge der TU Graz werden die Prototypen auf Herz und Nieren geprüft. „Hier gehören wir europaweit zu den Spitzeninstituten“, erklärt Moser. Die TU Graz ist eines von derzeit neun Centern of Knowledge Interchange (CKI) von Siemens. Mit diesen Spitzenuniversitäten unterhält Siemens langjährige Kooperationen im Rahmen der Forschungs- und Entwicklungsarbeit. So entwickelt Moser zusammen mit Siemens auch neue Messtechnik-Verfahren, die gemeinsam patentiert werden. „Siemens und die TU Graz profitieren so gleichermaßen vom Prinzip Open Innovation“, erklärt Moser.